buchbesprechung

In der Edition Octopus erschien jetzt ein Band mit Gedichten von Ilse Marie Döller und Fotografien von Norbert Böckmann.
Der Titel lautet:
Doch manchmal atmet es sich schon leicht
Lyrik + Lichtbilder
Auf 97 Seiten sind Gedichte wiedergegeben, die mit 22 Fotografien von Norbert Böckmann korrespondieren.
Eine Ästhetik des Abschieds zieht sich wie ein Band durch die Zeilen, eine Abschiedlichkeit, die dem Prinzip der Selbsterhaltung nur zögernd Raum gibt und nur manchmal Hoffnung durchschimmern lässt. Wir begegnen einer Poesie von Leben und Vergänglichkeit, einer Poesie, die auf künstlerische Wirklichkeit reflektiert. In ihrer Konzentration der Wörter und Sätze zieht sie sich auf das Wesentliche zurück und berührt in ihren Andeutungen Unfassbares.
Auf dem Umschlagtext steht: Lyrik + Lichtbilder
Norbert Böckmann zeigt Schwarz-Weiß-Fotografien, die in ihren Abstufungen Licht und Schatten, Trauer und Hoffnung, Formenvielfalt und Minimalistisches ausdrücken.
In dem hier verwendeten Begriff Lichtbilder wird die alte technische Bedeutung zugunsten einer poetischen Qualität aufgehoben.
Alle Gedichte und Fotografien beziehen sich aufeinander. Eine besondere Verbundenheit bis hin zum Gleichklang entsteht dort, wo Bild und Lyrik optisch als Einheit wahrgenommen werden.

Das Gedicht:
Winter
singt mit schmalem Mund
Schnee vom Ast
hörbar
wird die Stille

hat seinen Ort neben dem Foto „die wacht”. Das Querformat reicht Rand übergreifend von links nach rechts, und wir können die Landschaft gedanklich ergänzen. Der tief gezogene Horizont teilt das Bild in Himmel und Erde, in winterliche Wolkenformationen und ein Feld, das vom Wind ausgezehrte Spuren von Schnee in Rillen und Vertiefungen aufweist. Am Horizont, weit zum rechten Bildrand gerückt, erhebt sich der Turm, „die wacht”, umgeben von entlaubten, hohen, fein verästelten Bäumen. In dem Ensemble von verschattetem Turm und entlaubten Bäumen findet das in den Zeilen Ausgesagte seine höchste bildhafte Ausformung.
Auch die zweite Fotografie, ein Querformat, scheint über das Blatt hinauszugehen. Der Blick des Betrachters wird wie aus einem Versteck hinter mannshohen Steinen auf eine Lichtung geführt. In dieser Position wird er Zeuge einer Versammlung von bedeutungsvoll gestalteten thronartigen Skulpturen, die kreisförmig angeordnet sind. Große, von der Natur bearbeitete Felsbrocken scheinen den „thingplatz” räumlich einzufrieden.
Das zugeordnete Gedicht berührt mit seinen Worten die Grenze ertragbarer Schmerzen. „Jede Begegnung mit dir” ist der Titel und Anfang der 16 Zeilen, die Verletzung, Heilung und Sehnen nach Geborgenheit zum Ausdruck bringen.

Wir lesen die folgenden Gedichte und blättern bis Seite 28/29. Dort bilden Gedicht und Fotografie wieder ein Paar.
Starke Formen und Kontraste bestimmen die Komposition, die mit dem Objektiv gestaltet wurde. Was wir dort sehen, ist ein Teil eines mit Stacheldraht eingezäunten Feldes. Ein Pfahl ist in die Erde gerammt worden, um dem Zaun eine gewisse Festigkeit zu verleihen. Aber da ist noch dieser Querbalken, von dem wir nicht wissen, wie breit er ist; und außerdem ruht ein gerollter Stacheldraht auf dem Kopf des Pfahls. Den Vordergrund bildet ein formloses Rasenstück, das aus dem verschneiten Feld herausragt. In der Fotografie von Norbert Böckmann erhalten die Gegenstände eine neue Bedeutung, eine Bedeutung, die unserem Kulturkreis entspricht. Die beiden Balken werden zum Kreuz christlicher Symbolik und der Stacheldraht wird zur Dornenkrone. Die Kälte des Schnees und die starken Kontraste von Schwarz und Weiß verstärken die Atmosphäre der Trostlosigkeit. So trägt diese fotografische Arbeit folgerichtig den Titel „dornenkrone”. In dem dazu angeordneten Gedicht werden wir mit Schmerz, Verlust und Betrogensein konfrontiert. „Lass los lass los befahl der Schmerz  Auf einer anderen Seite sehen wir eine sonnenbeschienene Bank vor perspektivisch sich verjüngenden Baumreihen. Lange Schatten und quer verlaufende Lichtstreifen wechseln miteinander. Es werden Erinnerungen geweckt, die in den knappen lyrischen Zeilen daneben auf Verlust und Vergangenheit hinweisen.
Zwei Bilder zeigen Baumfragmente, die Assoziationen menschlicher Körperhaftigkeit vermitteln.
Sehr eindrucksvoll gestaltet ist ein Tulpenstrauß im Zinnkrug auf schwarzem Grund.
Die durch Langzeitbelichtung erreichte Vergänglichkeit organischer Substanzen wendet die Schönheit der Blumen zum Vanitassymbol.
Starke fliehende Lichtreflexe, erdnah, entsprechen dem Gedicht „Schwarze Sonne”.
Den Abschluss bildet eine minimalistische Arbeit mit dem Titel „ob servare”. Die Fotografie zeigt ein zartes Grau, das im Verlauf nach unten heller wird und dort an einem schwarzen Querbalken am Grund und dem fast mittig darüber erscheinenden architektonischen Kubus endet. Zwei nah beieinander liegende Löcher, die wie Bullaugen aussehen, geben dem Kubus ein Gesicht, das ihn wie ein observierendes Lebewesen erscheinen lässt. „Denn alles wurzelt letztlich im Ortlosen … “, so das Gedicht daneben.
Ilse-Marie Döller und Norbert Böckmann legen einen ausdrucksstarken Gedicht- und Bildband vor, der den Leser und Betrachter in ihr Erleben von Mensch und Natur in Verletzbarkeit und Widerstand einbezieht.
Christine Steuernagel M.A.